Quantify Yourself

Georg Payreder

8:00 Uhr – der Schlafphasen-Wecker läutet. Ich ziehe mein elektronisches Stirnband ab, frühstücke, gebe die Kalorien in mein Smartphone ein und fotografiere es. Weiter zur Arbeit mit dem Auto, noch Geld abheben und tanken – beides wird sofort in meinen Apps am Smartphone festgehalten um den Überblick am Monatsende zu behalten. Nach einem Vormittag voller Stress – wird sogleich in meinem Stimmungsbarometer am Telefon vermerkt – fahre ich mittags mit dem Fahrrad in die nahe Mensa. Davor starte ich meine Sport-App um Distanz, Kalorien und Herzfrequenz zu verfolgen. Das Essen wird wieder fotografiert und die Daten noch schnell aufgezeichnet. Am Nachmittag hebt sich die Stimmung, muss ich gleich ins Smartphone eingeben. Ein Blick verrät mir, dass ich heute schon 2000 Schritte gegangen bin, ich bin der Führende unter meinen Freunden. Wieder zu Hause, messe ich vor dem Abendessen Blutdruck und Insulinspiegel. Die Wifi-Waage sendet mein Gewicht an das Smartphone. Am Abend gehe ich in eine Bar, den Standort teile ich auf Foursquare. Mit dem Alkomat meines Smartphone kann ich die Getränke eingeben und mir den momentanen Promillewert anzeigen lassen. Um 23:30 Uhr liege ich wieder im Bett – mit meinem elektronischen Stirnband, dass meine Schlafphasen verfolgt.

Das ist „Quantify yourself“. Wörtlich ins Deutsche übersetzt bedeutet es „Vermesse dich selbst“. Es geht also um die Aufzeichnung und Analyse von Aktivitäten im alltäglichen Leben. Der Zweck ist länger, gesünder, kontrollierter zu leben, die Verhaltensänderung ist das Ziel. Dass Zahlen in unserem Leben wichtig sind, ist bekannt. Miete, Gehalt oder Preis einer Ware sollen exakt und nicht schwammig abgebildet werden, allerdings spielen Zahlen im privaten Bereich bislang noch eine eher untergeordnete Rolle. Die Historie der “Bewegung” begann im Jahr 1970 als das erste Mal „Self-Tracking“ mithilfe von tragbaren Computern eingesetzt wurde. 2007 haben die amerikanischen Wired-Journalisten Gary Wolf und Kevin Kelly den Begriff „Quantified Self“ vorgeschlagen, um die Bewegung zu beschreiben – „a collaboration of users and tool makers who share an interest in self knowledge through self-tracking“.

Nach einigen Jahren kam dann der Trend auch nach Europa. Lange zuvor war die präzise Erfassung der Körperwerte bei Profisportlern und in Krankenhäusern üblich. Allmählich wurde dann das Self-Tracking auch im eigenen Leben interessant.

Technik- bzw. sportbegeisterte Personen unter uns kennen natürlich Gadgets wie das Nike Fuelband, das Jawbone UP oder die Samsung Gear Watch. Aber darüber hinaus gibt es noch viele weitere Möglichkeiten sich selbst zu „tracken“. Anfangs wurde nur die sportliche Aktivität aufgezeichnet, doch mittlerweile haben sich neben dem Sport noch viele weitere Bereiche aufgetan die „getrackt“ werden, wie zB. Essen, Finanzen, Gesundheit und andere. Man analysiert „fast“ alles in der täglichen Routine. Konkret gesagt, verfolgt man Schlafphasen, den Jogging-Lauf, das Essen zu Mittag, die Qualität des Sauerstoffs, den Inhalt des Kühlschrankes, die Stimmung oder den Blutzuckerspiegel. Neben Apps und Vitalitätssensoren vereinfachen neue Geräte wie vernetzte Waagen, Schrittzähler oder Schlafsensoren die Datenerfassung.
Der Markt boomt, die Nachfrage steigt. Immer mehr Hersteller setzen auf diesen Trend und werfen neue Produkte auf den Markt. Auch die Start-up-Szene schläft nicht und immer mehr kleine und findige Unternehmen schießen wie Pilze aus dem Boden. Zu klären gilt, warum die Menschen sich so gerne selbst „tracken“, welchen Vorteil sie darin sehen, wie sich der Trend in den nächsten 20 Jahren entwickelt, wie mit der Datensicherheit umgegangen wird,…

qy_handyfit_web

Kritiker der Bewegung äußern unter anderem Bedenken bezüglich Big-Data (die Sammlung großer Datenmengen), der Privatsphäre oder der Datensicherheit. Die meisten Apps speichern ihre Ergebnisse in der Cloud bzw. auf den Servern der Anbieter. Wem gehören diese Daten? Wer erhält Zugriff? Viele Nutzer solcher Apps vergessen aus Bequemlichkeit gerne den Aspekt der Privatsphäre. Die Daten in der Cloud zu speichern bietet zwar den Vorteil, dass sie überall und von jedem Gerät zugänglich sind, jedoch übergibt man deren Nutzungsrechte damit auch dem Cloud-Anbieter. Apps bei denen diese Informationen auf dem Client, also dem Smartphone, gespeichert werden, sind rar. Auch eine bekannte App für Diabetiker „MySugr“ gibt ganz offen zu, dass die Daten der Nutzer anonymisiert an Dritte weitergegeben werden. Diese können dann zum Beispiel für wissenschaftliche Zwecke verwendet. Der Co-Erfinder von MySugr meint, dass Self-Tracking Apps den Verlauf bspw. einer chronischen Krankheit verbessern, aber dafür muss man dann eventuell einen hohen Preis zahlen – den Verlust der eigenen Daten. Diese werden dann möglicherweise an Werbeunternehmen, Krankenkassen oder Versicherungen weitergegeben. Im Gesundheitsbereich kann die Auswertung von Daten einen riesigen Vorteil für die Anwender bieten, jedoch muss auch hier garantiert werden, dass diese zumindest anonym bleiben. Die meisten wollen sensible Daten zu ihrer Gesundheit nicht preisgeben, wenn sie auf die eigene Person zurückzuführen sind, Stichwort ELGA in Österreich. Im weitesten Sinn ist daher auch ELGA, die elektronische Gesundheitsakte, eine Form des Self-Tracking, da auch hier die Behandlungen der Patienten mit aufgezeichnet werden. Bei ELGA formt sich ein heftiger Widerstand in der Öffentlichkeit. Wer sich und seinen Körper gut kennt, lebt auch gesünder. Wenn es um die Gesundheit geht, kann das Sammeln und Analysieren von Daten aber auch zum Arzt-Ersatz werden. Diese Form der Selbstdiagnose ist natürlich mit Vorsicht zu genießen, auch wenn sie ein enormes Einsparungspotential im Gesundheitsbereich verspricht.

In den nächsten zehn bis zwanzig Jahren wird sich dieser Trend in eine ganz alltägliche Selbst-Technik verwandeln und in Zukunft könnte die Verwendung von Tracking-Apps bzw. Tracking-Gadgets den Normallfall darstellen. Auch wenn Kritiker den Big-Data- und Privacy-Bereich in den Vordergrund stellen, lehnt nur ein marginaler Teil von Personen das Tracking aktiv ab. Der Großteil sieht darüber hinweg und teilt lieber mit der Community seine Ergebnisse. Selbst unter dem Eindruck der jüngsten Skandale in diesem Zusammenhang – Stichwort NSA – fühlen sich die meisten Nutzer nicht persönlich betroffen. Frei nach dem Motto: Man sieht es nicht – man spürt es nicht – es betrifft mich nicht!

Erhält man dann zielgerichtete Werbung im Web oder mit der Post, wird klar, dass Unternehmen auch privat geglaubte Daten einsehen können. Doch solange man keine negativeren Auswirkungen spürt, wird der Trend weiter Höhenflüge erleben. Ebenso steht im Raum das der Mensch in Zeiten von Google, Apple, Amazon und Co – Firmen also die global und mit nicht geringem Einfluss agieren – zum Teil nur noch resignieren und sich der Macht dieser Unternehmen beugen könne, denn eine Verweigerung dieser Dienste bedeutet mittlerweile auch eine gewisse Benachteiligung für den Einzelnen.

Self-Tracking ist sicherlich ein guter Weg um Ziele zu setzen, den Prozess zu messen und sich selbst zu motivieren. Man darf aber auch nicht vergessen, dass wir vor allem mit uns selbst kämpfen um unsere Ziele zu erreichen. Motivation wird hierbei oft mit Hilfe von Gamification-Elementen erreicht – Jennifer R. Whitson von der Concordia University in Kanada, spricht in ihrem wissenschaftlichen Artikel von deren Integration in Apps: „Add gamification to this mix and “self-knowledge through numbers” becomes even more interesting.“. Punkte, Badges oder Ranglisten motivieren die Person weiterzumachen. Dieser Aspekt der Veröffentlichung von eigenen Erfolgen bzw. Daten ist mit ein wichtiger Grund weshalb Personen alles über sich aufzeichnen. Ein Ranglistenmodell bzw. die Möglichkeit den eigenen Punktestand auf den sozialen Medien zu teilen spornt den Nutzer an. Dieser Vergleich innerhalb der Community, kann aber durchaus auch eine demotivierende Wirkung auf den Nutzer haben. Er fühlt sich dann zu dick oder zu faul, wenn er sich mit den besseren Ergebnissen der Anderen vergleicht.
Zusammenfassend betrachtet bietet Quantify-Yourself sowohl Vor- als auch Nachteile. Durch die Nutzung können sich Fortschritte ergeben wie zB. besserer Schlaf, bessere Gesundheit, bessere Ernährung, und und und…, vorausgesetzt man kann den Aspekt der Privatsphäre bzw. Weitergabe der anonymen Daten klären und das Vertrauen der Öffentlichkeit restlos gewinnen. Die eigentliche Bedrohung für den Datenschutz besteht aber nicht in den Selbstvermessern, sondern liegt bei denen, die unsere Daten dann „kontrolliert“ weiterverwenden.

Eine essentielle Frage, die sich also stellt, ist, wo diese Vermessung durch Maschinen beginnt und endet? Ein Koryphäe in diesem Gebiet ist der Künstler Stelarc der sich im Selbstversuch seit 30 Jahren mit dem Verhältnis von Mensch und Maschine auseinandersetzt. Ist der nächste, logische Schritt also der Cyborg, ein Mensch-Maschine-Hybrid, mit dem wir mithilfe von Implantaten, Prothesen, usw. unsere Körperfunktionen verbessern?

Quellen:
www.dw.de – how worried are you about your privacy
blog.whitings.com – 5 reasons to quantify yourself
www.wiwo.de – günstigere sensoren, mehr daten
Quantified_Self Brand eins, Heft 03/2014, „Vermesst euch!“, S. 62-67

Bildquellen:
Quantified Self – Das Handy ist mein Fitnesstrainer

Georg PayrederQuantify Yourself

Ähnliche Artikel

Join the conversation