Wer der Meinung ist, Crowdsourcing sei eine Erfindung des 21. Jahrhunderts, der irrt. Bereits vor dem digitalen Zeitalter haben Regierungen und Unternehmen die kollektive Intelligenz der Crowd genutzt, um die eigene Innovationskraft zu stärken. Durch das Internet hat dieses Konzept einen neuen Schub erfahren, doch nicht immer wird Crowdsourcing gutgeheißen.
Tatsächlich ist die Idee so alt, wie das Problem den Längengrad zu messen, das viele Experten im 18. Jahrhundert beschäftigte. Als die damaligen Seemächte – allen voran Großbritannien – immer öfter transozeanische Seefahrten wagten, war man sich einig, dass nur die akkurate Bestimmung des Längengrades sichere Überfahrten ermöglichen würde. 1714 bot die britische Regierung einen Preis von £20.000 für jene Person, die eine adäquate Lösung finden würde. Im Jahr 1765 gewann John Harrison, Sohn eines Tischlermeisters, schlussendlich diesen Preis für sein Chronometer, eine besonders präzise und transportable Uhr, mit der es erstmals möglich war, die exakte geografische Lage auf hoher See zu bestimmen. Ein weiteres Beispiel ist der Design-Wettbewerb von Toyota. 1936 forderte das Unternehmen die Crowd auf, ein Redesign ihres Logos zu kreieren. Über 27.000 Vorschläge wurden eingereicht. Schlussendlich führte das prämierte Design sogar zu einem Namenswechsel: vom Familiennamen „Toyoda“ zu dem heute bekannten „Toyota“.
Crowdsourcing ist also alles andere als neu. Jedoch haben der einfache Zugang zum Internet und die damit einhergehende Vernetzung dieser Entwicklung zusätzlichen Schwung verliehen, da nun ein großer Pool an Talenten schnell und mühelos über nationale Grenzen hinaus erreicht werden kann. 2006 hat Jeff Howe diesem stark wachsenden Trend den Namen “Crowdsourcing” gegeben. Er beschrieb ihn als das Auslagern einer Aufgabe, die ursprünglich von Angestellten ausgeführt wurde, an eine „Crowd“ in Form eines offenen Aufrufs. Nicht die Belegschaft eines Unternehmens oder ein externer Dienstleister werden mit der Durchführung betraut, sondern dem Unternehmen zuvor unbekannte Individuen. Grundsätzlich sind drei verschiedene Parteien im Crowdsourcing-Prozess vertreten: der Initiator der Crowdsourcing-Unternehmung, ein Intermediär, der die Plattform zur Verfügung stellt, und die Crowd.
Die zuvor genannten Beispiele haben gezeigt, dass die Motive hinter dem Konzept Crowdsourcing variieren können. So wie die britische Regierung zu ihrer Zeit, wollen Unternehmen die kollektive Intelligenz externer Individuen anzapfen, um die eigene Innovationskraft zu stärken. Wie das Beispiel des Chronometers zeigt, ist die optimale Lösung oftmals nicht in unmittelbarer Umgebung zu finden. Crowdsourcing ist daher eine Möglichkeit, mit Hilfe externer Ressourcen Lösungen für Problemstellungen zu finden, bei denen dem Auftraggeber das nötige Know-How oder die Expertise fehlen. Die Nutzung von Crowdsourcing-Plattformen, wie zum Beispiel der Plattform „Innocentive“, ermöglicht es Unternehmen, über lokale Grenzen hinaus einen ansonsten kaum erreichbaren Pool von Experten unterschiedlicher Disziplinen zu erreichen, wobei jeder aus diesem Pool einen Lösungsvorschlag zu der gestellten Forschungs- und Entwicklungsaufgabe einbringen kann.
Ähnlich wie Toyota 1936 können Organisationen Design-Tätigkeiten, wie das Designen eines Logos, Flyers, oder einer Website, an die Crowd auslagern. Hierbei wird eine kurze Beschreibung der Aufgabe inklusive einem Geldbetrag, den das Unternehmen zu zahlen gewillt ist, auf Plattformen wie “99designs” oder “designenlassen” gepostet. Amateur-Designer, aber auch zu einem großen Teil professionelle Designer können dann Designvorschläge einreichen. Dabei gilt: Das beste Design gewinnt und bekommt den ausgeschriebenen Betrag gutgeschrieben. Unternehmen können Crowd-Arbeiter rekrutieren, um Mikro-Tasks oder sogenannte Human Intelligence Tasks (short HITs) auszuüben. Diese sind meist simple, wiederholende Tätigkeiten, wie beispielsweise Produktbeschreibungen verfassen, Bilder kategorisieren oder ausländische Postleitzahlen nachschlagen. Die wohl berühmteste Plattform ist Amazon’s Mechanical Turk. Crowd-Arbeiter oder auch Turkers genannt, können nach Aufgaben suchen und diese gegen Bezahlung, spezifiziert von dem Auftragsunternehmen, ausführen.
Die Entwicklung rund um Crowdsourcing wird von einer Reihe sozialer, wirtschaftlicher und legaler Herausforderungen begleitet. Stimmen werden laut, dass Crowdsourcing prekäre Arbeitsverhältnisse auch in die digitale Arbeitswelt überträgt.
In der wettbewerbsbasierten Crowd-Arbeit wird nur das beste Design bzw. die beste Lösung prämiert, alle anderen gehen in der Regel leer aus. Experten, die an wissenschaftlichen Problemen arbeiten, oder Designer sind einem hohen Risiko ausgesetzt, nicht für ihre Arbeit bezahlt zu werden. Hat jemand einen Wettbewerb gewonnen, werden alle Daten und IP-Rechte auf den Auftraggeber übertragen. Kraskohsha beispielsweise ist der erfolgreichste Designer auf ”designenlassen”. Er hat 525 Wettbewerbe gewonnen, aber an über 3100 teilgenommen. Der Designer hat also nur für jeden sechsten Job eine Bezahlung erhalten. Auch bei wissenschaftlichen Problemen findet man ein ähnliches Bild vor. Entscheidet sich ein Unternehmen für einen Lösungsvorschlag, wird nur an diese Person eine Prämie ausbezahlt. Auch wenn nach Sicht des Auftraggebers kein optimales Ergebnis gefunden worden ist und somit kein Preisgeld fließt, ist dennoch ein Großteil der Unternehmen mit dem Crowdsourcing-Prozess zufrieden, da eingereichte Lösungswege einen Anstoß für weitere Forschungstätigkeiten darstellen können.
Micro-tasking zeigt ein etwas anderes Konzept. Unternehmen lagern kleine, virtuelle Aufgaben an eine anonyme Arbeiterschaft aus, die diese für Mikro-Beträge bearbeiten. Der durchschnittliche Stundenlohn beträgt meist nicht mehr als $2. Sollte das Unternehmen mit der erbrachten Leistung nicht zufrieden sein, kann es ganz einfach von einer Bezahlung absehen, aber das Produkt trotzdem verwenden. Folglich liegt auch hier das Risiko voll und ganz bei den Crowd-Arbeitern. Des Weiteren erfolgt eine Entfremdung des Arbeiters: Man weiß meist nicht, für wen und mit wem man arbeitet bzw. welchen übergeordneten Zeck die erledigten Mikro-Aufgaben erfüllen sollen. Die Auftraggeber bleiben bei einem Micro-tasking-Konzept also weitgehend anonym, haben jedoch Zugang zu einer globalen 24-Stunden-Arbeitskraft und müssen keinen Lohn ausbezahlen, falls sie mit der erbrachten Leistung nicht zufrieden sind.
Die digitale Arbeitnehmerschaft hat in Crowdsourcing-Unternehmungen keine Garantie für ihre Arbeit bezahlt zu werden, genießt keinen Arbeitnehmerschutz oder Sonderleistungen. Hart erkämpfte Arbeiterrechte wie bezahlter Urlaub, 8-Stunden-Arbeitstag und Sozialabsicherung werden im Crowdsourcing-Konzept nicht berücksichtigt. Zusätzlich sind Gehälter oftmals niedriger als jene in traditionellen Jobs. Kritiker sprechen darum von digitalen Sweatshops: Unternehmen lagern Aufgaben an Crowd-Arbeiter aus, ohne jegliche Gegenleistungen zu garantieren.
Viele Crowdsourcing-Plattformen werden von Kritikern als problematisch und ausbeuterisch angesehen. Dennoch lassen sich auch Konzepte finden, die eine gerechtere Verteilung unter den verschiedenen Stakeholdern anstreben. Die Plattformen “Jovoto” und “Quirky” sind zwei Beispiele, die zeigen, dass der Prozess den Crowd-Arbeitern gegenüber auch ein Stückchen fairer gestaltet werden kann.
„Jovoto“ ist eine Plattform für kreative Leistungen und Ideen. Im Vergleich zu anderen Plattformen entscheidet grundsätzlich die Community welcher Lösungsvorschlag gewinnt, wobei jeder Nutzer eine Idee bewerten kann. Die Idee mit dem besten Bewertungsergebnis gewinnt und erhält den ausgeschriebenen Hauptpreis. Doch nicht nur der “Gewinner“, sondern auch die Plätze 2-12 erhalten ein Preisgeld. Weiters verbleiben die Nutzungsrechte bei den Kreativen und werden nach dem Wettbewerb mit dem Initiator ausgehandelt. Zwar muss sich die Entscheidung des Auftraggebers nicht mit dem Community-Sieg decken – es handelt sich hierbei um zwei klar getrennte Entscheidungsebenen – jedoch hat sich gezeigt, dass die interessantesten Ideen für den Auftraggeber auch in den Top-Platzierungen der Community zu finden sind.
„Quirky“ sieht sich selbst als Plattform für „Social Product Development“. User können eine Idee für ein Produkt posten und diese gemeinsam mit anderen bis zur Marktreife weiterentwickeln. Wird das Produkt dann auch tatsächlich produziert, bekommen alle, die an der Entwicklung beteiligt waren, 30 Prozent der erzielten Einnahmen, die auf Basis des Influence-Faktors, welcher Auskunft über den Beitrag eines Users an der Entwicklung des Produktes gibt, auf die Beteiligten verteilt werden.
Crowdsourcing ist ein sehr kontroverses Thema. Fürsprecher sehen in diesem Konzept eine Möglichkeit, die Innovationskraft von Unternehmen zu steigern und Probleme aufgrund einer breiten interdisziplinären Basis besser lösen zu können. Auch für Arbeitnehmer bietet Crowdsourcing Vorteile: Man kann jederzeit und von überall aus arbeiten und sich jenen Projekten widmen, die einem auch Spaß machen. Weiters kann man sich durch erfolgreiche Ideen und Umsetzungen eine Reputation aufbauen, welche für zukünftige Arbeitgeber durchaus entscheidend sein kann. Kritiker hingegen skizzieren Crowd-Arbeit als problematisch, da die Entlohnung, sofern eine geleistet wird, von Crowdsourcing-Projekten meist unter dem üblichen Marktwert liegt und eine soziale Absicherung der Arbeiter nicht gegeben ist.
Crowdsourcing kann nicht per se als “bad“ deklariert werden. Das Konzept bietet große Potenziale, komplexe Problemstellungen bzw. umfangreiche Aufgaben schneller und effizienter lösen zu können als traditionelle Herangehensweisen es erlauben. Noch nie war es so einfach auf einen globalen Talentepool zugreifen zu können. Unternehmen machen sich die Intelligenz des Schwarms zunutze, um die eigene Innovationskraft und somit auch Produktivität zu steigern. Fakt ist jedoch, dass es sich bei Crowdsourcing weitgehend um einen unregulierten Marktplatz handelt und die transnationale Arbeiterschaft keine rechtliche Anerkennung erfährt. Angesichts der nicht zu leugnenden Vorteile, die es aufweist, sollten auch dementsprechend faire Rahmenbedingungen etabliert werden, die allen daran Beteiligten eine faire Teilnahme erlauben.
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