Die Artikel in diesem Magazin sind der beste Beweis dafür, dass die digitalen Technologien in den letzten 20 Jahren unsere Welt grundlegend verändert haben. Die Digitalisierung, die auf dem universellen binären Code beruht, ermöglichte es, bis dahin getrennte Lebenswelten und Systeme zusammen zu führen und aufs engste miteinander zu verknüpfen. Die stets griffbereiten mobilen Endgeräte sind die materielle Manifestation dieser rapid voranschreitenden Entwicklung, deren Ende nicht abzusehen ist.
Als Reaktion auf diese tiefgreifenden, gesellschaftlichen Veränderungen propagierten Tim Berners Lee, der Erfinder des World Wide Web, und seine KollegInnen 2006 die Agenda für eine neu zu schaffende „Web Science“, die sie als „Wissenschaft dezentralisierter Informationssysteme“ definierten. In ihrem Paper „A Framework for Web Science“[2] wurden vor allem technische, soziale und rechtliche Forschungsfragen das Web betreffend formuliert (enginneering the web, social aspects, web governance).
Die Johannes Kepler Universität Linz griff 2008 das Konzept der Webwissenschaften auf und holte, in Erweiterung der ursprünglichen Idee, die Kunstuniversität Linz mit ins Boot. Fünf Fachbereiche dieser zwei Universitäten (Computer Science, Soziologie, Ökonomie, Recht und Medienkunst) entwickelten gemeinsam einen in dieser Form einmaligen Studienplan für das Masterstudium Webwissenschaften. In diesem Studium treffen WissenschaftlerInnen und Studierende mit dem Wissen aus ihren Spezialdisziplinen aufeinander, bringen ihre Sichtweisen ein, schaffen Verständnis für die eigenen Fragestellungen und erzeugen so einen erweiterten Denk- und Handlungsraum im und um das Web. Daraus entstehen neue Denkansätze, die innerhalb der Einzeldisziplinen nicht möglich wären. Durch diese Bündelung der Disziplinen können sich alle Beteiligten dem Phänomen Web trans- und interdisziplinär in seiner Gesamtheit widmen, im Sinne einer kritischen Reflexion über gegenwärtige Fragen und Probleme nachdenken, sowie mögliche Entwicklungen ausloten.
Die Kunst spielt dabei eine wichtige Rolle, denn KünstlerInnen haben ein feines Sensorium für die Vorgänge in ihrer Umwelt. Viele von ihnen greifen sehr früh neue Technologien auf, um damit fern von unmittelbaren Verwertungszwängen zu experimentieren. Nicht selten wurden Visionen und Zukunftsszenarien in künstlerischen Arbeiten, Filmen und der Literatur entwickelt, die Jahre später in abgewandelter Form Alltagsrealtität wurden. Die oft unorthodoxen Denk- und Arbeitsweisen der KünstlerInnen haben innerhalb eines interdisziplinären Diskurses die Funktion eines Katalysators, der etwas in Bewegung bringt.
[1] Der Begriff Web bezieht sich in diesem Artikel nicht nur auf das World Wide Web sondern umfassender auf alle Phänomene unserer digital vernetzten Welt.
[2] Tim-Berners Lee, Wendy Hall, James A. Hendler, Kieron O’Hara, Nigel Shadbolt and Daniel J. Weitzner, “A Framework for Web Science”, Foundations and Trends in Web Science, ISBN: 1-933019-33-6 144 pp, September 2006
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