Love. Fuck. Want. You have to watch porn … for science

Sascha Naderer

Internetpornografie ist Mainstream. Bitte, tun Sie nicht so, als wäre Ihnen das neu. Es gibt eine ganze Reihe an Daten, die einem entgegengeworfen werden, wenn man versucht, ein ernsthaftes Gespräch über die Bedeutsamkeit der Pornoindustrie zu führen. Die Zahlen schwanken allerdings und von der Wissenschaft gibt es kaum Belege.

Machen Pornos nun also 5%, 25% oder 50% des Internets aus? Welchen Stellenwert müssen wir der Internetpornografie geben, wenn wir uns über Ökonomie, Soziologie oder Psychologie der Nutzung des Webs unterhalten? Entscheidend ist, welche dieser Zahlen sich nun am ehesten dem realen Wert nähert.

In den Köpfen der Menschen haben Pornovideos ihr schmutziges Image noch immer nicht ganz abgeschüttelt. Zwar wird der Trend auch in Zukunft nicht dahin gehen, in der Mittagspause Hardcorepornos im Großraumbüro zu zeigen, ein Wandel ist allerdings dennoch bemerkbar. PornodarstellerInnen haben den Sprung von unbekannten Gesichtern zu Sternchen der Szene geschafft. Es ist durchaus in Ordnung, Darsteller zu kennen, ohne davon peinlich berührt zu sein. Während die Reddituserschaft Asa Akira nach ihren unterhaltsamsten Situationen beim Filmdreh befragt, zeigt der Kultursender ARTE seine Doku über Stoya, die neben ihrem Hauptberuf noch Kommentare für den Guardian verfasst.

Dass diverse Lifestyleformate fast schon inflationär die Vorteile von sanfter Haue im Schlafzimmer oder die Wissenschaft hinter dem Geschmack von Ejakulaten wiederkäuen, schockiert ältere Semester, sorgt vielleicht für heimliches Interesse im mittleren Alter, wirft die heutige Generation aber schon lange nicht mehr aus der Bahn. Immerhin tragen sie die weite Welt der Hardcorepornografie in ihrer Hosentasche. Ihr Schock wird sich auch in Grenzen halten, wenn die ehemalige Kinderschauspielerin im Alter von 19 Jahren für sieben Sekunden lang mit dem Smartphone beim Akt gefilmt wird.

So richtig neu entdeckt wurde die Sexualität zuletzt in den späten 60er Jahren. Es ist anzunehmen, dass die Digital Natives, also jene User, welche die Technologien des modernen Zeitalters in die Wiege gelegt bekamen, einen solchen Wandel in der Wahrnehmung der Sexualität aufgrund ihres Alters nur aus Fernsehdokumentationen über Sexkommunen und freie Liebe kennen. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob wir uns heute nicht ebenfalls einer – etwas anderen – Form von sexueller Revolution gegenübersehen.

Menschen unterhalten sich über Masturbation und Lieblingspornofilme und schmeißen Dildoparties. Sie machen ihre eigenen Videoclips und werden damit willentlich Teil der usergenerierten Pornomasse, zum Pornhub Prosumer. Das statistische Material, das sich daraus ergibt, nutzt die Industrie bereits für sich: Was klickt der User zuerst an? Wie lange bleibt er auf der Website? Welches Video sieht er sich mehr als einmal an? Welches schließt er nach wenigen Sekunden?

Zwar sind die obenstehenden Fragen aus ökonomischer Perspektive von Interesse, jedoch ist die Motivation hinter den jeweiligen Handlungen besonders in Verbindung mit dem Web wenig erforscht und die klassische soziologisch und psychologisch orientierte Pornoforschung kann uns einige Fragen nicht beantworten. Zum Beispiel jene, wie sich der steigende Anteil an Smartphones in Schwellenländern für die Pornoindustrie auswirken wird, oder inwiefern technologische Erweiterungen wie Augmented und Virtual Reality Einfluss nehmen werden. Ebenso ist der Zugang zur Pornografie ein anderer: Während man in vordigitalen Zeiten verstohlen die diskret abgetrennten Pornoabteilungen der Videothek betreten oder dem Kioskverkäufer seinen Wunsch nach Pornografie anvertrauen musste, findet der – wenn man so möchte – Erwerb des Materials heute innerhalb der eigenen vier Wände statt.

Diese Öffnung der Welt der Filmerotik für deren Nutzer und Nutzerinnen führte dazu, dass die im Jahr 2010 durch das heutige MindGeek aufgekaufte Webseite Pornhub in ihrem Blog ”Pornhub Insights” statistisches Datenmaterial zu Großereignissen sportlicher Natur, regionalen oder saisonalen Eigenheiten auswertet. Dies geschieht natürlich vorrangig aus ökonomischen Gründen, doch ermöglicht Pornhub mit dem Schritt der Veröffentlichung jener Daten auch einen offenen Diskurs, der über die reine Ökonomie hinausgeht.

Es wird darüber philosophiert, wieso Kärntnerinnen und Kärntner im Bundesländerschnitt am wenigsten lang auf der Website verbringen, weshalb der Top-Suchbegriff jedes Landes die eigene Landessprache ist und wie es kommt, dass die ganze Welt ihren Pornokonsum zu Weihnachten und an Sonntagen verringert – und warum ausgerechnet Japan aus der Statistik fällt.

Pornhub Insights hat unter anderen folgenden Fakten zusammengetragen:

  • Weltweit hatte Pornhub im Januar 2013 den meisten Traffic. Im August 2013 fielen die Aufrufe auf das Minimum. In Japan verhält sich dies anders. Hier war der aktivste Monat der November, während im Mai die geringste Nutzerzahl aufgezeichnet wurde.
  • Im Durchschnitt wurde Pornhub im Jahr 2013 am häufigsten am Montag aufgerufen. Am Sonntag sind die Aufrufzahlen am niedrigsten. Wiederum fällt Japan aus dem Schema. Hier ist der aktivste Tag der Samstag, während sich am Donnerstag die geringste Menge an Benutzern auf Pornhub wiederfand. Kurios: Zu Weihnachten sinkt in beinahe jedem Land die Zugriffsrate um 10-30%. In Japan stieg diese um 8%.
  • Der am häufigsten gesuchte Begriff ist in den meisten Ländern der Erde ist die eigene Nationalität. Bewohner deutschsprachiger Nationen suchen also gerne nach “german” und “deutsch”, während die Briten “english” und die Japaner “japanese” suchen.
  • Das am häufigsten verwendete Wort in Pornhub-Kommentaren ist “love”. Darauf folgen “hot”, “fuck”, “nice” und “ass”. Bei der Überprüfung der Kommentare wurde erkannt, dass 67% der gemachten Aussagen positiver Natur sind. Die einzigen Verben in den Top 25 sind “love“, “fuck” und “want”.
  • Besonders beliebte weitere Suchbegriffe sind “teen”, “milf”, “casting” und “amateur”. Der meistgesuchte Berufsbegriff ist “teacher”, gefolgt von “babysitter”, “nurse”, “secretary” und “cop”.

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  • Billiger werdende Technologie und die daraus resultierende weltweit zunehmende Verwendung von Smartphones und Tablets spiegelt sich auch in der Pornhub-Statistik jedes Landes wieder.
  • Zu wichtigen sportlichen Ereignissen ist ein eindeutiges Nutzerverhalten beobachtbar. Am Beispiel des 48. Superbowl-Finales zwischen Seattle und Denver lässt sich feststellen, dass sich während des Spiels in den teilnehmenden Städten die Zugriffsrate um 61% bzw. 51,4% senkte. Die Sieger (Seattle) lagen nach dem Spiel auf -17,2%, während die Verlierer (Denver) der höchste Anstieg (10,8%) zu verzeichnen war. Ähnliche Beobachtungen waren beim rein madrilenischen Finale der UEFA Championsleague zu machen.

Bedauerlicherweise wird trotz dieser Fakten nicht immer deutlich, weshalb die User das so machen, also warum Japaner so gerne an einem ganz anderen Tag und Monat Pornofilme sehen wollen als es US-Amerikaner oder Deutsche tun. Liegt der Kern der Wahrheit in unterschiedlichen sozio-ökonomischen Voraussetzungen im asiatischen Raum oder gibt es ganz andere, weniger offensichtliche Gründe? Wie erklärt man sich den Unterschied in der Verweildauer zwischen wohlhabenderen und wirtschaftlich benachteiligten Usern? Worin liegt die Motivation zum Hochladen von eigenem Material? Werden die uns folgenden Generationen sexuell abgestumpfte Hedonisten, weil sie stundenlang Pornos schauen können und trotzdem keinen zweimal sehen müssen? Oder werden sie in der Sexualität und Erotik aufgeklärter und unvoreingenommener sein als wir es sind?

Diese Fakten verraten uns vieles über die geheimen Wünsche der User. Durch das veröffentlichte Material werden der Wissenschaft Informationen zugänglich, die man einige Jahre zuvor nicht hatte. Natürlich hätte man auch schon vor 10 Jahren Fragebögen und Gesprächsrunden zur Nutzung von pornografischem Material im Internet erstellen können, doch hätte man bereits die richtigen Fragen gestellt?

Um die Pornografie im Internet wissenschaftlich beleuchten zu können, scheint es notwendig über die reine Sozioökonomie hinauszugehen. Pornografie ist ebensosehr Thema von Kunst, Technik, oder Rechtsprechung. Was sagt der Künstler, wenn sich Pornografie von der Hochglanzproduktion zum Einweg-Medium wandelt? Welche rechtlichen Fragestellungen tun sich auf, wenn sich ein Pärchen beim gemeinsamen Akt filmt und dieses Band von einem der beiden veröffentlicht wird?

Internetpornografie ist Mainstream und sie generiert Daten. Die daraus entstehenden Informationen sind allerdings ungeordnet. Sie sind zwar für die klassischen Disziplinen schon von Bedeutung, um sie jedoch umfassend einzuordnen, bedarf es eines Ansatzes, der die vielfältigen Aspekte und Perspektiven vereint, die dem Web als kreativen, sozialen, ökonomischen und technischen Raum zugrunde liegen.

Love. Fuck. Want. Durch die Nutzung von Internetpornografie hat der Mensch eine ganz persönliche Seite in das große, weite Netz gebracht und sich damit durchschaubarer gemacht. Es liegt nun an einer interdisziplinären Wissenschaft – den Webwissenschaften – auch auf diesem Gebiet die richtigen Fragen zu stellen.

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