Smart – Smarter – Augmented

Magdalena Giegler

Kaugummi-Zigaretten, Diddl Blätter sammeln, Modesünden begehen, die Bravo lesen und das Tamagotchi füttern.

Beim Rückblick auf die 1990er Jahre wird so manchem warm ums Herz. Doch auf das lästige, piepsige Wählzeichen, welches beim gleichzeitigen Telefonieren und Surfen im Internet in der Leitung war, blicken wohl die wenigsten wehmütig zurück. 1996 kam, mit dem Durchbruch des Handys auf dem Massenmarkt dann die “Erlösung”. Nokia 3310, das Handy, an dem selbst Chuck Norris scheiterte, ist bis heute Kult. Und es dauerte nicht lange, bis zum ersten Mal die Bezeichnung „Smart“ als Zusatz zum „Phone“ auftauchte. Eine neue Ära technologischer Entwicklung begann, in der die Idee einer “intelligenten” Technologie, die uns begleitet, fast schon selbstverständlich geworden ist.

Neben dem Smartphone wurde ein Trend in Richtung smart losgetreten, fast schon hin zum Smart-Life. Die neue Haushaltshilfe Alexa, die Kopfschmerztabletten auf die Einkaufsliste setzt, das Hundelaufband einschaltet oder eine Reservierung im Steakhouse macht, ist wohl das Paradebeispiel für ein Smart Home System, welches sich zur Zeit einem Durchbruch am Massenmarkt erfreut.

Smarte Anwendungen, seien es nun Fernseher, Kühlschränke, ganze Häuser oder reine Entertainment-Angebote, unterstützen den realen Alltag. Hinzu kommt, dass auch Anwendungen über das „anaolge“ Leben hinausgehend entwickelt werden. Anwendungen, die dem Realen das Virtuelle hinzufügen.

Augmented Reality, kurz AR, bezeichnet eine erweiterte, oder auch angereicherte Realität. Durch die computergestützte Überlagerung menschlicher Sinneswahrnehmungen mit zusätzlichen Informationen in Echtzeit, wird die Realität sowohl um visuelle, akustische als auch haptische Informationen erweitert. Die heute wohl bekannteste Anwendung ist das AR-Spiel Pokémon Go aus dem Jahr 2016. Dabei bewegt sich der Spieler in der Realität, er sieht über sein Smartphone-Display eine virtuelle Abbildung der Realität, und muss, sich darin befindende virtuelle Fantasiewesen einfangen.

Ein Video das ebenfalls letztes Jahr um die Welt ging zeigt, wie Menschen mit einer Rot-Grün-Sehschwäche durch eine spezielle Brille, welche jene Farben, die störend auf das Gehirn wirken, herausfiltert, plötzlich normal sehen können. Das Konzept der Augmented Reality ist auch für viele andere Bereiche anwendbar wie etwa in der Architektur, der Industrie, der Touristik oder gar der Medizin. Bei Stadtführungen durch Rom zum Beispiel, könnte man mittels AR-Brille das Forum Romanum zu neuem Leben erwecken lassen. Head-Up Displays in Autos könnten dem Fahrer durch Augmented Reality wichtige Informationen auf die Frontscheibe projizieren damit man nicht mehr auf das Navi, die Tankanzeige oder den Tachostand schauen muss. Und in der Chirurgie beispielsweise, bietet Augmented Reality die Möglichkeit präoperativ erstellte Datensätze zusätzlich zur Wahrnehmung des Chirurgen einzublenden. Zusätzlich kann dieser dann, wie mit einer Röntgenbrille, in den Patienten hineinsehen und anatomisch schwer zugängliche Bereiche besser überblicken.

Vor rund 25 Jahren hätten sich die Menschen nicht vorstellen können mit einem Smartphone durch die Gegend zu laufen, Siri nach dem Weg zu fragen und gleichzeitig im Internet zu surfen. Wenn man nun in die Zukunft blickt fragt man sich möglicherweise, ob wir einen Smarten Kühlschrank brauchen werden, der für uns Lebensmittel nachbestellt wenn sie aufgebraucht sind, oder glauben wir nur ihn zu brauchen? Die Frage nach den eigenen Bedürfnissen und Werten hängt natürlich stark von dem gesellschaftlichen Kontext ab in den man selbst eingebettet ist. Wenn die westliche Welt einen Weg in Richtung straffes Zeitmanagement einschlägt und für die Menschheit die aufgewendete Zeit, um selbst zum Supermarkt einkaufen zu gehen, zu kostbar wird, dann brauchen wir in Zukunft natürlich einen smarten Kühlschrank der uns fragt, was er für uns besorgen soll.

Schwierig wird es jedoch, wenn man diese Frage um eine ethische Dimension erweitert. Wer bestimmt die Trends der Zukunft und somit unsere Bedürfnisse? Sind es die Menschen und Gegebenheiten der Umwelt selbst, oder geht alles nur von ökonomischen Interessen der Wirtschaft aus, wo das einzige Bedürfnis der finanzielle Profit ist? Die Antwort hängt natürlich stark von der Art der verschiedenen Trends ab. Während Internet-Phänomene oder virale Trends vorwiegend Nutzer-Initiiert scheinen, werden neue Technologien und die Bedürfnisse danach meist von Entwicklungskonzernen hervorgerufen, ohne die ein Nutzer vielleicht gar nicht auf die Idee einer solchen Anschaffung gekommen wäre. Das AR-Phänomen lässt ein Zusammenspiel beider Komponenten vermuten, Innovatoren brachten eine neue Technologie auf den Markt, nun schreien die Kenner nach mehr.

Warum aber steigt das Bedürfnis nach Augmented Reality? Welchen Vorteil verschafft uns das Zusammenspiel von Realität und Virtualität? Soll es uns wirklich das Leben erleichtern? Ja, das soll es. Möglicherweise soll das Leben aber auch einfach spannender und fantasievoller werden. Der Entdeckergeist wird dazu zusätzlich  eine Rolle spielen, wir wollen nicht nur das sehen was da ist, viel mehr auch auf Dinge aufmerksam gemacht werden, die wir sonst nicht wahrnehmen würden. Und zugleich sind jene Dinge die wir uns selbst erarbeitet haben durchaus von größerem Wert als das ohne Aufwand Erhaltene.

Während ein Kletterer an der Kletterwand, der durch eine AR-Brille den Mount Everest vor sich sieht, nicht wirklich ein Big-Achievement-Gefühl bekommen wird, scheint Augmented Reality doch auch mehr als nur ein wenig Weltverbesserungspotential zu haben, wenn man zum Beispiel an das Feld der Medizin denkt.

„Unser Leben wird also „smarter“. Ob es dadurch auch einfacher oder erfüllter wird, liegt wohl im Auge des Betrachters – oder doch eher jenem des Entwicklers?“

Ein weiterer spannender Faktor sind die dramaturgischen Möglichkeiten von Augmented Reality, beispielsweise bei einer Stadtführung. Man will sich eine Kirche ansehen und je näher man kommt, desto tiefer taucht man in die Geschichte ein. Am Weg zur Kirche bekommt man erzählt wie man dorthin gelangt, warum sie dort steht wo sie steht oder was der Bezug der Kirche zu dem Viertel der Stadt ist. Wenn man davor steht erhält man Informationen zum Gebäude selbst, warum etwas eingerissen oder saniert wurde, erfährt was dort zuvor  war, oder bekommt Informationen über die nebenstehenden Gebäude. Und wenn man dann eintritt erfährt man nicht nur etwas über den Ort, sondern auch über die Personen die damit zu tun hatten.

Möglicherweise noch viel spannender scheint die Vorstellung, durch Augmented Reality eine ganz andere Stadt zu erleben als man eigentlich geplant hatte, weil Dinge, Orte oder Geschichten eingeblendet werden, die zuvor nicht auf der Stadtbesichtigungsagenda standen.

Augmented Reality liefert also nicht nur kontextuelle Informationen, da wo sie uns bisher verborgen geblieben sind, es kann uns an Orte führen oder Erzählungen liefern, auf die wir von alleine vielleicht gar nicht gestoßen wären.

Unser Leben wird also „smarter“. Ob es dadurch auch einfacher oder erfüllter wird, liegt wohl im Auge des Betrachters – oder doch eher jenem des Entwicklers? Die Menschheit ist in der Lage, Reales und Virtuelles zu vermischen. Wodurch auch immer neue Bedürfnisse geweckt werden, Fakt ist, die Menschen wollen und brauchen Veränderungen, obwohl sie paradoxerweise trotzdem von Natur aus skeptisch und ängstlich sind. Die obenstehenden Beispiele zeigen uns, dass die Thematik AR neben viel Spaß und Spiel, doch auch eine gewisse Ernsthaftigkeit mit sich bringt. Da das Thema so vielseitig anwendbar ist, wird weder ein totaler Boykott noch ein blindes Annehmen und Akzeptieren aller Neuerungen sinnvoll erscheinen. Während es für die Einen eine nutzlose Spielerei darstellt, oder sogar Angst vor einer Überwachung schürt, könnte es für die Anderen lebensverändernde Ereignisse bedeuten. Und sollte weder das Eine noch das Andere zutreffen, dürfen wir uns hoffentlich bald auf interessante Stadtbesichtigungen mit “erweiterten” Realitäten und Erlebnissen freuen.

Magdalena GieglerSmart – Smarter – Augmented

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