Virtuelle Kommunikation im Wandel

Irene Ruderstorfer

Die virtuelle Kommunikation hat sich seit ihrem Aufkommen bereits mehrmals stark verändert. Sie unterscheidet sich im Wesentlichen von Gesprächen, in denen alle TeilnehmerInnen am selben Ort anwesend sind. [1]

Neben dieser körperlichen Entkopplung gibt es in der virtuellen Kommunikation – mit Ausnahme von einem Livestream – selbst beim Chatten meist eine zeitliche Asynchronität, auch wenn sie nur minimal sein mag. Im Unterschied zum persönlichen Gespräch muss einer Aussage keine sofort wahrnehmbare Reaktion folgen.

Der Begriff “Virtuelle Realität” wurde von Jaron Lanier im Jahr 1984 geprägt, wobei der Begriff “virtual” im angloamerikanischen Raum eine ganz andere Bedeutung einnimmt – im Sinne von “fast wie” oder “quasi” – als im deutschsprachigen Raum, wo der Begriff mit “scheinbar” übersetzt wird. Eine relativ neue Bedeutung des Begriffs “virtuell” ergibt sich aus dem umgangssprachlichen Gebrauch des Wortes. So wird dieser auch in zunehmenden Maße verwendet, um etwas zu beschreiben, das digitalen Charakter besitzt und sich in einem Computer abspielt. [2]

So geht die wohl bekannte und erlernte Mensch-Mensch-Kommunikation immer mehr in eine Mensch-Maschine-Kommunikation über, welche sich vor allem durch die Nutzung von künstlicher Intelligenz in Form von Robotern, Avataren und seit geraumer Zeit auch vermehrt durch die digitale Datenübertragung mittels Drohnen auszeichnet. Neue technische Systeme verbessern diese Art der Kommunikation zusehends. Auf die Entwicklung von Instant Messaging Diensten wie Snapchat oder Firechat, folgten später Echtzeit-Übersetzungssevices von Skype oder Google, welche eine Simultanübersetzung vieler verschiedener Sprachen möglich machen. Trotz dieser vielseitigen Entwicklungen bleibt festzuhalten, dass hinter diesen Technologien immer noch Menschen stehen.

Avatare sind uns grundsätzlich aus virtuellen bzw. Second Life-Welten, also aus Computer- und Videospielen, wie „World of Warcraft“ als Charaktere bestens bekannt, welche NutzerInnen repräsentieren. Doch virtuelle Personen können wesentlich mehr. Mittlerweile nehmen Avatare eine beratende und unterstützende Funktion im Internet wahr. Sie agieren als digitale Assistenten auf einer App oder bei Käufen im Onlineshop, führen durch Websites von Unternehmen und bieten beispielsweise durch Livechats oder Tutorials wichtige Hilfestellungen an. Weiters moderieren sie teilweise  Nachrichten im Fernsehen. [3]

Diese Art der Assistenz kann ebenso im sonstigen Alltagsleben als Begleitung Anwendung finden. So helfen sie über die Monitore von Desktop- oder auch Mobilgeräten speziell älteren Menschen bei alltäglichen Aufgaben wie beim Kochen, Planen, Organisieren oder beim Merken von (Arzt-)Terminen. Zudem können sie auf ein mögliches Fehlverhalten hinweisen und gehen somit individuell auf Personen ein. [4] Forschungen zeigen, dass sie nicht nur einer speziellen Personengruppe wie Senioren, sondern auch Gehörlosen und Gehörbeeinträchtigten helfen können. Avatare können die Barrierefreiheit im Fernsehen, Internet oder im öffentlichen Bereich wie im Verkehr erhöhen, denn der Zugang zu Informationen für die zuvor erwähnten Gruppen ist oft immer noch sehr schwierig. Aus diesem Grund wird seit einigen Jahren in den USA und einzelnen europäischen Staaten – wie auch in Österreich – an neuen Einsatzmöglichkeiten von Avataren als Unterstützungstechnologien gearbeitet, welche eine barrierefreie digitale Kommunikation ermöglichen. [5]

Mithilfe des in Wien entwickelten SiMAX-Avatars ist es beispielsweise möglich, (halb)automatisch, standardisierte Texte in Gebärdensprache zu übersetzen und von diesem vortragen zu lassen. Große Textmengen können so rasch ort- und zeitunabhängig übersetzt werden. Der Avatar ist grundsätzlich für alle Gebärdensprachen einsetzbar. [6] Dabei klassifiziert man die deutsche, britische, französische, japanische, lyonner und die isolierte Gebärdensprache. [7] Auch die österreichische Gebärdensprache ist seit 2005 in der Bundesverfassung als anerkannte und eigenständige Sprache verankert worden. [8]

Die Technologie wurde im Kontext von Schule und Ausbildung, beispielsweise bei Schulungsunterlagen oder Lehrvideos eingesetzt und bietet so auch hörenden Personen einen Mehrwert. Weitere Einsatzgebiete waren Demo-Abschnitte aus Spielfilmen sowie die Gemeinderatswahl in Wien 2015. In Zukunft sollen zum Beispiel ebenso Fernsehwerbungen sowie zusätzliche Verkehrsdurchsagen in öffentlichen Verkehrsmitteln oder an Bahnhöfen und Medikamenten-Beipackzettel übersetzt werden. Befindet sich auf dem Beipackzettel ein Strichcode, ist es möglich, diesen mithilfe der App zu scannen und über ein verknüpftes Video weitere Informationen in Gebärdensprache zu erhalten. [9]

Durch die variablen Gestaltungsmöglichkeiten können je nach Alter der RezipientInnen und dem Verwendungszweck verschiedene zielgruppenspezifische Avatare genutzt werden, zum Beispiel speziell für Kinder nette aufgeweckte Kinder-Avatare oder unterschiedliche lustige Tiergestalten, mit denen sie sich identifizieren können. Weiters werden Körpersprache und Emotionen durch den Avatar dargestellt – Faktoren, welche bei der Gebärdensprache unerlässlich sind und dem Avatar so auch mehr Menschlichkeit verleihen bzw. den UserInnen eine Identifikation mit diesem ermöglichen. [6]

Es existiert auch ein großer Bedarf an gebärdensprachlichen Übersetzungen. Für die Zukunft würde dies bedeuten, auch im öffentlichen Dienst und der Verwaltung zu versuchen, diese Services einzubinden. Die Studioproduktionen, welche bis jetzt durchgeführt wurden, waren durch die menschlichen DarstellerInnen für die Zielgruppe greifbarer, indem sie mehr Authentizität vermittelten. Jedoch sind diese Produktionen aufwändig und wirtschaftlich mit hohen Kosten verbunden. [10] Das Honorar für GebärdensprachdolmetscherInnen beträgt in Österreich und Deutschland pro Stunde ca. 75€, wobei sich dieser Betrag rein auf die Dolmetschzeit bezieht. Je nach Sprache können noch weitere Entgelte anfallen. [11] Professionelle UntertitlerInnen erhalten ca. 8-10€ pro Filmminute, das heißt ca. 900€ für 90 Minuten. [12] Durch den Einsatz von Avataren können die Produktionskosten deutlich gesenkt werden.

Trotzdem gibt es zur Zeit noch Limitationen bei Übersetzungsavataren. Diese ergeben sich vor allem dadurch, dass bei dieser Technologie noch immer im Vorhinein maschinenlesbare Texte benötigt werden, was eine direkte, simultane Übersetzung in Gebärdensprache zum Beispiel bei Live-Events schwierig macht. Allerdings werden große Fortschritte in der Entwicklung von Speech to Text-Anwendungen gemacht, so z.B. in jüngster Zeit durch Siri, den persönlichen Sprachassistenten für iPhone und iPad oder dem süßen, sprachgesteuerten Haushaltsroboter Zenbo, welcher den Kindern sogar Geschichten vorliest. [13] Auch die Kommunikation mit Hörgeschädigten wird durch Spracherkennung erleichtert, zB. durch die iCantHear-App für Apple-Produkte. Über das Mikrofon kann auf der App einfach Text eingesprochen werden, dieser kann dann auf einem verbundenen zweiten Gerät angezeigt werden. [14]

Allerdings sollte trotz dieser vielen innovativen Ansätze fernerhin den Informationsbedürfnissen von Gehörlosen Beachtung geschenkt werden, denn auch für die direkte Mensch-Mensch-Kommunikation ist weiterhin die unmittelbare persönliche Kommunikation über die Gebärdensprache erforderlich. Durch rücksichtsvollen Umgang mit Gehörlosen kann die Kommunikation erleichtert und mehr Verständnis geschaffen werden.

So tritt der Avatar SiMAX zudem in Form eines virtuellen (Sprach-)Lehrers und Spielpartners sowohl für Gehörlose als auch Hörende auf. Dies gelang mit der App „SiGame“. Die App ist für Personen jeden Alters konzipiert, spricht aber durch die Animation und den spielerischen Zugang speziell Kinder und Senioren an. Dieses mobile Game hat zum Ziel, spielerisch Spaß am Lernen einer neuen (Gebärden-)Sprache zu entwickeln. Außerdem können die individuellen Sprachkenntnisse verbessert werden. [15]

Avatare stellen auch effektive Möglichkeiten dar, um zum Beispiel Fremdsprachenwissen nach den aktuellsten Erkenntnissen der Lernforschung zu vermitteln. Linzer WissenschaftlerInnen konnten nachweisen, dass beim Lernen mit Avataren Vokabel besser memoriert werden, wenn diese Gesten zeigten. Avatare können so für die Sprachrehabilitation bei Schlaganfall-PatientInnen, aber auch allgemein als Pflegeroboter eingesetzt werden. Avatare bieten demnach vielen verschiedenen Zielgruppen Hilfestellungen. [16] Jedoch ist festzuhalten, dass hierbei die menschliche Interaktion stets fehlt.

Zukunftsszenarien im Bereich der Avatarnutzung in der Bildung gehen auch weiter und zeichnen schon heute ein Bild, in dem Avatare gänzlich den (Schul-)Unterricht übernehmen, wobei das System von virtuellen LehrerInnen dabei von Avatar-ManagerInnen mit pädagogischem Hintergrund gesteuert wird. So fällt die menschliche Interaktionsmöglichkeit zwischen SchülerInnen und Unterrichtenden weg und das klassische Berufsbild der LehrerInnen würde sich zu einem Mediator-Avatar wandeln. Der Mensch wird als Avatar in die digitale Welt eingebunden. Trotzdem kann es genauso wie in “traditionellen Klassenzimmern” auch bei Online-Gruppenkommunikationen zu Problemen zwischen den AkteurInnen kommen, beispielsweise durch Cybermobbing oder virtuelle Unruhestifter. [17] Dazu braucht es die nötigen Konfliktmanagement-Kompetenzen der AvatarmanagerInnen. Studien zeigten, dass das Lernen mit einem Avatar grundsätzlich produktiver sei, da sich dieser auf den individuellen Lernerfolg einer Person einstellt. [18]

Dabei ist das Entwicklungspotenzial der Avatar-Nutzung sicherlich noch nicht vollständig ausgeschöpft. Mit dem Internet of Things und der Veränderung der Arbeitswelt mit der Industrie 4.0 vollzieht sich ein großer Wandel in der digitalen Kommunikation. [19] Nicht jeder steht dieser raschen und vor allem fortschrittlichen Entwicklung immer positiv gegenüber. Immerhin werden heutzutage auch schon diverse Tätigkeiten, die bis vor kurzer Zeit noch Menschen verrichtet haben, von Robotern oder Avataren übernommen.  Sicher scheint, dass die Grenzen zwischen Mensch und Avatar sowie Realität und Virtualität immer mehr verschwimmen. Dieser Trend nennt sich Augmented Reality, im deutschsprachigen Raum ebenfalls bekannt als erweiterte Realität. Unter dem englischen Begriff versteht man die computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung eines Menschen. Als Beispiel könnte man das Einblenden von zusätzlichen Informationen bei einer Fußball-Übertragung hernehmen. Hier würden Abseitslinien und Torentfernungen beim Freistoß digital für den/die FernsehzuseherIn eingeblendet werden. [20]

Als weiteres Beispiel für “Augmented Reality” könnte auch Google Glass, welche im Frühjahr 2012 vorgestellt wurde, angeführt werden. Da die Datenbrille allerdings neben ziemlich vielen technischen Mängeln auch noch mit Kritik wegen Verletzung der Privatsphäre in den Medien landete, wurde der Verkauf von Google Glass am 19. Jänner 2015 eingestellt. [21] Laut Google-Vorstand Eric Schmidt gibt es allerdings Hinweise darauf, dass bereits mit Hochdruck an einem neuen Modell der Google Glass gearbeitet wird. [22] Viele Einsatzgebiete der Avatare sind sehr sinnvoll und die Forschung in dieser Disziplin ist als äußerst wertvoll anzusehen, dies gilt vor allem für den sozialen Bereich. Dennoch gilt es zu hinterfragen, ob die Digitalisierung der Gesellschaft in allen Lebensbereichen immer angemessen sowie zweckmäßig ist.

Auch die Folgen des Technologieeinsatzes sollten stets gut überlegt sein. So geht bei der Nutzung von Robotern und Avataren der persönliche Kontakt zu Menschen durch die Kommunikation verloren. Besonders augenscheinlich wird dies zum Beispiel bei Pflegerobotern. Dennoch scheint es, als würde man wieder zur Ausgangssituation, der Vier-Augen-Situation zurückkehren wollen. Besonders deutlich wird dies auch bei Lern- und Lehrsituationen. Obwohl der Mensch mit dem Aufkommen des Buchdrucks und der neuen Medien immer mehr in den Hintergrund rückte, weil Wissen so für eine größere Masse zugänglich wurde, ist nun eine zunehmende Vermenschlichung von Avataren zu beobachten – eine Entwicklung, die es gespannt weiter zu verfolgen gilt.

Quellen

[1] https://www.e-teaching.org/didaktik/kommunikation (05.06.2016)
[2] http://www.virtuelle-teamarbeit.de/literatur/Virtuelle-Teamarbeit.pdf (05.06.2016)
[3] http://sciencev1.orf.at/science/news/9421 (05.06.2016)
[4] http://futurezone.at/science/virtuelle-assistenten-helfen-durch-den-alltag/147.717.817 (05.06.2016)
[5] http://www.einfach-teilhaben.de/DE/GBS/Home/Aktuelles/avatar_inhalt.html (05.06.2016)
[6] http://diepresse.com/home/leben/mensch/4894284/Gebaerdensprache_Ihre-Avatare-zeigen-es-allen- (05.06.2016)
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Geb%C3%A4rdensprachen (15.06.2016)
[8] http://www.oegsdv.at/gehoerlosigkeit-gebaerdensprache/gebaerdensprache/  (15.06.2016)
[9] http://futurezone.at/digital-life/avatar-zeigt-gebaerdesprache-fuer-gehoerlose/24.588.889 (13.07.2016)
[10] http://www.signtime.tv/simax (05.06.0216)
[11] http://www.landesdolmetscherzentrale-gebaerdensprache.de/dolmetscher-suchen/anfordern/kosten-kostenuebernahme (17.06.2016)
[12] http://www.phil-fak.uni-duesseldorf.de/oasien/blog/?p=11231 (17.06.2016)
[13] http://futurezone.at/produkte/asus-stellt-haushalts-roboter-zenbo-vor/201.667.267 (12.06.2016)
[14] http://www.appgefahren.de/icanthear-speech-to-text-anwendung-erleichtert-kommunikation-mit-hoergeschaedigten-131210.html (17.06.2016)
[15] http://www.sigame-app.com/#!sigame/cjg9 (05.06.2016)
[16] http://www.jku.at/content/e213/e63/e43?apath=e32681/e262488/e262489/e262590 (05.06.2016)
[17] http://karrierenews.diepresse.com/home/karrieretrends/1442082/Das-Ende-der-Lehrer_Avatare-ubernehmen-den-Unterricht (06.06.0216)
[18] http://diepresse.com/home/science/4640553/Heidi-hilft-beim-Sprachenlernen (06.06.0216)
[19] http://www.ijug.eu/home-ijug/aktuelle-news/article/der-mensch-als-avatar-so-kommunizieren-wir-mit-cyber-physischen-systemen-in-der-industrie-40.html (05.06.0216)
[20] http://www.augmented-minds.com/de/erweiterte-realitaet-anwendung/was-ist-augmented-reality (07.06.2016)
[21] http://www.zeit.de/digital/mobil/2015-01/google-glass-datenbrille-neuanfang-fadell (14.07.2016)
[22] http://www.welt.de/wirtschaft/webwelt/article144387725/Neue-Google-Glass-soll-noch-dieses-Jahr-erscheinen.html (14.07.2016)

Irene RuderstorferVirtuelle Kommunikation im Wandel

Ähnliche Artikel

Join the conversation